Mit 16 bin ich als Haushaltlehrtochter nach Zürich gegangen, in ein Altersheim. Ich war in der ersten Zeit kreuzunglücklich, ich weiss noch, wie ich am Trog stand und weinte, weil ich mich so einsam fühlte. Meine Muttersprache ist rätoromanisch- die anderen Mädchen waren alles Bernerinnen, ich habe kein Wort verstanden von dem, was sie sagten. Doch dann habe ich Dorli kennengelernt. Sie war als Köchin dort und wurde meine beste Freundin. Zeitlebens hat diese Freundschaft gehalten, 70 Jahre lang, bis zu ihrem Tod. Ich weiss noch, wie wir stundenlang die gusseisernen Pfannen schrubbten, bis wir ganz aufgeweichte Hände hatten. Und immer haben wir gesungen dabei. Das war das Schönste - zusammen zu singen, zweistimmig. Dorli war ein gläubiger Mensch, so wie ich. Aber von der lebensfrohen, offenen Art. Sie hat mir damals gesagt, dass das Wichtigste im Leben die Freude sei. «Du musst mit Freude arbeiten», meinte sie, «nur mit Freude kannst du wirklich dienen». Das ist mir geblieben, es ist mein Lebensmotto geworden. Als mein vereinbartes Jahr als Haushaltlehrtochter vorbei war, bin ich gleich nochmals ein Jahr geblieben – Dorli und der Freude wegen!
Mit achtzehn ging ich für zwei Jahre ins Welschland, um französisch zu lernen. Ich kam zu einer Familie Emerson, nach Lausanne. Dies erwies sich als glückliche Fügung - nein, weit mehr als das: es war ein Geschenk des Himmels. Wahrscheinlich hat nichts mein Leben so stark geprägt wie diese Zeit damals, mit diesen Menschen. Die Emersons waren eine Arztfamilie, weltoffen, liebevoll und vorbildliche Christen, so richtig vom Herzen her. Das grosse Haus war immer voller Menschen: Ärzte aus Indien, Missionare aus Afrika, stets waren Gäste da aus aller Welt, es wurde spanisch, französisch und englisch gesprochen und mir tat sich eine völlig neue Welt auf. Am Abend sassen alle an einem ellenlangen Tisch, wir haben diskutiert, gegessen und gelacht – eigentlich war es immer ein Fest. Und stets war ich mit dabei, bei allen Unternehmungen und Anlässen, ich gehörte ganz schnell zu dieser Familie, die keinerlei Standesdünkel oder Arroganz kannte. Sie haben all das vorgelebt, was wirklich zählt: Gastfreundschaft, Verbundenheit, Weltoffenheit, Menschlichkeit und Lebensfreude. Ich konnte so viel von ihnen lernen. Das waren kostbare, unvergessliche Jahre für mich. Später, nach einem Abstecher nach England, habe ich mich im «Lindenhof» in Bern zur Krankenschwester ausbilden lassen. Als ich mein Diplom in der Tasche hatte, ging’s zurück Richtung Heimat, ins Engadin. Ich wollte in der Nähe meiner Mutter sein, um sie im Alter besser unterstützen zu können und arbeitete einige Jahre im Spital von Samedan.